"verdammt - gestürzt! II"

Installation, 2019

Video, Objekt, Toncollage, Fotografie und Malerei

Die Installation der einzelnen Arbeiten orientiert sich an der jeweiligen Ausstellungssituation. Das Video des Wurstfalls kann herausgelöst auf einer Leinwand präsentiert werden. Korrespondierend dazu wird der Brei an einer Wand in Bodennähe gezeigt.

 

Peter Paul Rubens: „Der Höllensturz der Verdammten“ – eine kurze Geschichte der Rezeption

 

„Wie gebannt saß ich dort für zwei Stunden auf einer Bank vor den Gemälden von Rubens. Ganz emotional reagierte ich dabei auf das Bild „Der Höllensturz der Verdammten“. Durch die Art seiner Dramatisierung sowie dadurch wie es arrangiert ist, wird die Illusion vermittelt, man würde ein endlos bewegtes Bild betrachten und man meint sogar die Schreie zu hören“. (Dimitris Daskalopoulos, Sammler)

 

Die Empfindungen von Herrn Daskalopoulos wurden nachvollziehbar, als wir selbst vor diesem Gemälde in der alten Pinakothek in München standen. Gleich einem Wasserfall stürzen die menschlichen Leiber voller Dynamik und Kraft ins Bodenlose.

 

Die Begegnung mit dem Gemälde fiel in die Entstehungszeit unseres Kurzfilms „Comestible“. Die Protagonisten dieses Films sind Würstchen – handelsübliche Wiener-Würstchen – die die Rolle übernehmen, menschliches zu zeigen, ohne individuell oder gar menschlich zu sein. Der Umgang mit den Würsten als Material unserer künstlerischen Arbeit beförderte die Assoziation, anstelle der Leiber in Rubens Gemälde, Würstchen zu denken.

 

Mit der Arbeit: „verdammt – gestürzt!“ erweitern wir unsere Betrachtungen auf den Mensch, als gesellschaftliches, in die Welt geworfenes Wesen, das im Spannungsfeld zwischen dem existentiellen Bedürfnis nach Unversehrtheit, Sicherheit und Glück und dem „Höllensturz“ lebt.

Für die Arbeit an der Installation wählten wir Mini-Würstchen aus dem Glas, die im Supermarkt erhältlich sind.

Ähnlich einer menschlichen Gesellschaft existieren sie in ihrem (Lebens-) Raum, sind in jedem Raum (Glas) ein wenig anders organisiert und bleiben für eine gewisse bzw. ungewisse Dauer der Haltbarkeit darin. Die konservierende Lake hält sie frisch und ansehnlich.

Geht alles seinen normalen Weg, dann wird das Glas Würstchen gekauft, der Inhalt zubereitet und verzehrt. Wenn jedoch ein solches Glas herunter fällt und zu Boden stürzt, ist es vorbei mit der Ordnung, der Unversehrtheit und der Haltbarkeit.

 

Ein Sturz an sich, ist ein plötzlich eintretendes Ereignis mit schmerzhaftem Ausgang oder der Verlauf eines abgründigen Prozesses ohne Umkehrbewegung. Uns begegnen Stürze oder wir erfahren sie, auf persönlicher, gesellschaftlicher und weltpolitischer Ebene. Wir erleiden Verletzungen von körperlicher und psychischer Natur. Ein Sturz verändert stets die zuvor bestehende Ordnung und eingenommene Position. Er ist ein gewaltiger Einschnitt und für alle Materie eine jederzeit mögliche Option. Ihm folgen große Veränderungen, bis hin zum Ende des Gewesenen.

 

Der Begriff der Hölle ist im heutigen Sprachgebrauch eine Metapher für vieles, das als unangenehm empfunden wird oder negativ besetzt ist. „Ich bin durch die Hölle gegangen“, „es war die Hölle“, beschreiben Situationen tiefer Bedrängnis und Seelenqual, die rückblickend beschrieben eine nachvollziehbare schreckliche, tief empfundene Not beschreiben, die überwunden wurde.

Die mittelalterliche Hölle, wie auch in Rubens „Höllensturz“ dargestellt, war dagegen eindeutig im Jenseits angesiedelt und ein Ort der Strafe und Verdammnis. Sie war darauf angelegt, die gängige Vorstellung von Moral und Sitte gesellschaftlich zu manifestieren und herrschende Machtverhältnisse zu erhalten.

Bildhafte Vorstellungen einer jenseitigen Welt finden sich in den Mythen vieler Kulturen oder der Hölle der christlichen Religion. Diese Vorstellungen und die damit verbundenen Bilder und Beschreibungen von „Hölle“ und „Höllensturz“ sind seit Jahrhunderten Gegenstand der Künste. Grandiose Erfindungen von Dämonen, Ungeheuern und die Menschheit quälenden Situationen wurden und werden hervorgebracht. Die Phantasie modifiziert in gar unendlicher Vielfalt Erschreckendes aller Art. Die Motive und Stereotypen sind Teil der allgemeinen Kulturgeschichte und werden zu jeder Zeit, insbesondere in der bildenden Kunst, der Literatur und der Filmkunst produziert, reproduziert und interpretiert.

Wir nähern uns dem Thema im Kontext von Nahrungsmitteln, ihrer Produktion und ihres Konsums. Die Fleisch- und Wurstproduktion ist für uns bildnerisches Material. Richtet man den Blick auf die stoffliche Qualität von Nahrungsmitteln aller Art, unabhängig ob es den rohen oder zubereiteten Zustand betrifft und justiert den Fokus ganz leicht von „lecker“ nach „ekelig“, eröffnen sich Zugänge zu abgründigem und dämonischem Vokabular.

Nicht zuletzt liegen Komik und Katastrophe sowie Höllengelächter und Höllenangst dicht beieinander.